Reisen sind für Jugendliche ein wichtiger Faktor bei der Erlangung eigener Selbstständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung in einer lebensprägenden Zeit. In den vergangenen zwei Jahren der Pandemie mussten Jugendliche dabei gravierende Einschränkungen hinnehmen. Welchen Stellenwert hat Reisen für eine jüngere Generation, die in den letzten zwei Jahren nicht viel gereist ist?
Mit dieser Forschungsfrage beschäftigt sich die vom Bundesministerium für Wirtschaft geförderten Trendstudie Jugend reist 22. Für die Tourismuswirtschaft, Jugendreiseveranstalter, Schulen, aber auch Politik, ist es wichtig zu verstehen, welche Werte Jugendliche heute mit Reisen verbinden, um sinnvolle Unterstützung zu liefern.
Jugendreisen können in der gesellschaftlichen Nachhaltigkeitstransformation ein sehr wichtiger Baustein sein. Im Transfer und in der Zusammenfassung zeigt die Trendstudie Jugend reist 22 dazu wichtige Leitthemen und Aktionsfelder für die Reisebranche und Politik auf.
Die Studie soll dabei Entscheidungsunterstützung für politisches und unternehmerisches Handeln sein, kollaborative und branchenübergreifende Innovationen fördern und einen bildungspolitischen Diskurs anregen.
>>> Download der kompletten Studie
Der Werteraum spannt sich auf zwischen einem uneingeschränkten Freiheitsgefühl eines Alleine-Reisens und einem Reisen in einer inspirierenden Gemeinschaft. Stark unterschiedlich sind Naturreisen und Partyreisen bewertet.
Bei der Wunschvorstellung einer perfekten Reise stehen für Jugendliche Freiraum und Erlebnis im Zentrum. Eigene Erfahrungen mit Jugendreisen werden mit freundschaftlich, umweltbewusst und aufregend assoziiert.
Die Befragten lassen sich in drei empirische Wertegruppen mit unterschiedlichen Präferenzen in Bezug auf Reisen und Freizeit aufteilen. Die Schwerpunkte der Gruppen sind: „Gemeinschaft“, „Abwechslung“ und „Freiheit“.
Erlebnisreisen, Naturreisen, Camping, Fahrradreisen und Interrail werden von allen Gruppen eher positiv bewertet; Sprachreisen, Studienreisen und Feriencamps eher unterschiedlich, Klassen-und Kursfahrten durchweg negativ.
Die Pandemie wird aus Sicht der Jugendlichen langfristig zu einem weniger sorglosen, freien und unkomplizierten Reisen führen. Positiv hingegen sehen sie ein steigendes Umweltbewusstsein und ein achtsameres Reiseverhalten.
Für die Zukunft des Reisens gehen Jugendliche davon aus, dass klimaschädliche Folgen einer Reise weniger in Kaufgenommen werden. Das gilt genauso für das zukünftige Reiseverhalten ihrer Eltern und den globalen Tourismus.
Jugendliche haben die Pandemie als sehr beschränkend wahrgenommen. Das Wort Nachhaltigkeit wird nicht genutzt, aber natürlich spielen klimapolitische und klimaschädliche Faktoren eine Rolle. Der eigenen Jugendreise wird zugeschrieben, dass sie eigentlich eher umweltfreundlich ist. Den Eltern wird eher zugeschrieben, dass sie klimaschädliche Reisen machen, aber für die Zukunft wird das Gegenteil erwartet, dass nämlich klimaschädliche Folgen des Reisens nicht mehr in Kauf genommen werden.
Die Studie zeigt sehr stark, was Jugendliche beschäftigt und wo sie hinwollen. Freiheit ist eher ein Ideal. Ein wesentlicher Punkt ist, dass bei dem Thema Beförderung Busreisen sehr negativ bewertet werden, im Vergleich zu vor der Pandemie. Das Fahrrad ist auf Platz eins. Die Autoreise steigt in ihrer Beliebtheit, auch familienbedingt. Die Bahn ist nicht positiv bewertet, Interrail hingegen schon. Klassenfahrten schneiden in der Gesamtbewertung sehr negativ ab, weil sie eher schulisch geprägt sind. Das ist der Hinweis, das Potenzial von Reisen als Lernraum zu nutzen und Schulen womöglich Reisegutscheine zu geben, sodass die Lehrer auch nicht mehr die Veranstalter sind, sondern tatsächlich der Reisemarkt daran partizipieren kann.
Das Reisen vor der Pandemie liegt im identifizierten Kulturraum schon sehr nah an dem Ideal einer perfekten Reise. Die positiven Attribute, die dem Reisen nach der Pandemie zugeschrieben werden, machen deutlich, dass Jugendliche gemeinschaftliche Erlebnisse und Freiraum suchen und gerne wieder mehr verreisen wollen. Eine durchweg positive Zuordnung von Jugendlichen bezüglich Reiseformen wird Camping und Reisen mit dem Fahrrad zugeschrieben und könnte die Sehnsucht nach Orten und Aktivitäten an der frischen Luft auch als Konsequenz der Pandemie verdeutlichen.
Soziale Medien, Reise Apps und Gaming sind bisher vernachlässigte Potentialfelder, die für die Entwicklung künftiger Reiseangebote genutzt werden können. So könnten in der Jugendreise der Zukunft das Erlebnisangebot analog zu den vertrauten Spielmechaniken auf das nächste Level gebracht werden, gewohnte Kommunikation anhand sozialer Medien in den Reiseverlauf integriert und Reise Apps auf Präferenzgruppen von Jugendlichen ausgerichtet sein. Für Anbieter von Jugendreisen (inkl. Klassenfahrten) legt die vorliegende Kultur- und Werteanalyse zudem nahe, die Partizipation der Jugendlichen insbesondere bei der Reiseplanung zu erhöhen. Vor allem die Phase vor einer Reise und die damit im besten Fall verbundene Vorfreude hat einen enormen Einfluss auf das Glückserleben der gesamten Reise.23 Für die Ausgestaltung von organisierten Jugendreisen können hierbei digitale Anwendungen wie Chatbots (ggf. Spracherkennung) die Einbindung der Jugendlichen fördern. Für Anbieter von Jugendreisen gilt es, Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um inhaltliche Anpassungen vorzunehmen, die die unterschiedlichen Werte im Kulturraum Reisen von Jugendlichen ansprechen. Soziale Medien können dabei ein Schlüsselfaktor sein, um Jugendreisen dynamischer zu machen. Sie haben das Potential Jugendreisen aufzuwerten, indem Narrative der Jugendreise mit Inhalten in sozialen Medien verknüpft werden oder soziale Medien von den Anbietern selbst mit Inhalten gefüllt werden.
Gaming scheint sich von einer Tätigkeit, welcher von älteren Generationen oftmals der Wert Vereinsamung zugesprochen wurde, in den letzten Jahren durch die digitale Vernetzung verstärkt zu einer gemeinschaftlichen Aktivität entwickelt zu haben. Gaming könnte eine konkrete Reiseaktivität sein und gemeinschaftsstiftend wirken. Im Hinblick auf das Lernen werden durch Computerspiele eine Vielzahl wichtiger Fähigkeiten vermittelt, die schon heute, aber vor allem in Zukunft auch in der Arbeitswelt von großer Bedeutung sein werden.34 Das Dazulernen scheinen Jugendliche allerdings überhaupt nicht mit Gaming zu verbinden. Es handelt sich also tatsächlich um ein spielerisches und vor allem unbewusstes Lernen. Gerade Jugendreisen könnten Spielelemente aufgreifen und in das Reiseangebot integrieren, um auch den Wert der Gemeinschaft zu stärken. Dies könnte schon vor Beginn der Reise, aber auch während der Reise passieren.
Nach Betrachtung der zugeschriebenen Werte können Jugendreiseveranstalter bei ihrer Produktentwicklung vermehrt Innovationen aus dem Erlebnisumfeld von Sozialen Medien und Gaming ableiten. Dies bedeutet digitale Erlebnisse in reale Erlebnisse zu transformieren und einen Mix aus beidem zu schaffen. Damit werden einerseits die Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Abwechslung bedient und andererseits spielerisches Lernen ermöglicht. Für die Reisegestaltung von Jugendreisen wird es in Zukunft nicht mehr ausreichen rein pädagogische Gesichtspunkte zu beachten. Vielmehr geht darum unterschiedliche Ansätze wie dem Erlernen neuer (Kommunikations-)Fähigkeiten mit spielerischer Erlebnisgestaltung sinnvoll zu verknüpfen. Teil der Lösung ist eine Ko-Kreation der Reisekonzeption und eine tiefergehende Zusammenarbeit mit der Kreativwirtschaft.
Auf zukünftigen Reisen suchen Jugendliche Abwechslung zum Alltag, aber gleichzeitig auch die Intensivierung positiver Aspekte der eigenen Freizeit wie die eigenen Lieblingsbeschäftigung. Ihren eigenen Alltag erleben sie heute während der Pandemie als weniger hektisch. Lieblingsbeschäftigungen von Jugendlichen haben einen höheren Stellenwert als ihre Hobbies. Gleichzeitig spielen Lieblingsbeschäftigungen bei Jugendreisen bisher eine eher untergeordnete Rolle.
Nach der Analyse der erhobenen Daten lohnt es sich vor allem die Lieblingsbeschäftigungen von Jugendlichen genauer anzuschauen. Diese sind bei Jugendlichen selbstgewählt und daher nicht zwingend das Hobby. Die Lieblingsbeschäftigung ist durchweg mit positiven Werten besetzt.
So muss eine Jugendreise nicht unbedingt einen Anti-Alltag darstellen, sondern kann auch eine Intensivierung von Alltag bzw. der Lieblingsbeschäftigung bedeuten. Jugendreiseveranstalter tun also gut daran, Erlebniswelten, die sich an Lieblingsbeschäftigungen von Jugendlichen orientieren, in das Reiseangebot aufzunehmen.
Die Altersstufen von Jugendlichen sind nur bedingt kompatibel hinsichtlich ihrer Reiseansprüche. Gerade bei Jugendlichen ab 15 Jahren lässt sich erkennen, dass diese sich zum Teil schon als junge Erwachsene begreifen. In der Konsequenz fühlen diese sich beispielsweise in der Kommunikation allein durch das Wort Jugendreisen weniger angesprochen als die Gruppierung der Jugendlichen unter 15. Das gilt vor allem für die in der Studie beschriebene Präferenzgruppe Autonomie. Den Präferenzgruppen Abwechslung und Kollektiv sind gemeinschaftliche Erlebnisse wichtiger als ein Gefühl von großer Freiheit. Für sie zählen neben wechselnden Aktivitäten vor allem gruppendynamische Erlebnisformen. Selbstbestimmung und Freiraum werden dabei meist deutlicher angestrebt je älter Jugendliche sind.
Beim Reisen bedürfen Mobilitätsangebote für Jugendliche einer neuen Bestandsaufnahme. Hinter den äußerst positiv bewerteten Mobilitätsformen wie Fahrrad und Interrail ist das starke Bedürfnis nach Freiheit unterlegt. Der Freiheitsgrad beim Reisen wird dabei selbstbestimmt. Bus- und Klassenreisen werden dagegen mit Beschränkung und Unsicherheit verbunden.
Mobilität für Jugendliche sollte flexibel multi- und intermodal funktionieren und barrierefreies Reisen ermöglichen. Viele Jugendliche navigieren schon heute anhand diverser Informationssysteme durch das öffentliche Verkehrsnetz. Die Reisebranche sollte sich fragen, wie sich das erwartete Freiheitsgefühl von Fahrrad und Interrail auf die organisierte Jugendreise und Klassenfahrt übertragen lässt. Beispielsweise sind bei Interrailreisen die Reisestrecken fest vorgegeben, nur die Route ist frei und auch spontan wählbar. Übertragen auf die Jugendreise können analog hierzu Strecken oder Module angeboten werden, deren konkrete Ausgestaltung selbst von den Jugendlichen gewählt werden können. Diese freie Auswahl könnte dabei bis hin zu den Tütensuppen zum “Überleben” gehen. Die Quintessenz ist gerade für den in der Studie aufgezeigten Präferenzgruppen Autonomie und Abwechslung mehr Freiräume zu geben, die sich dann auch entwickeln können (z.B. mit einem (Zeit-) Budget, das reichen muss).
Die konkrete Buchung einer Jugendreise übernehmen in fast allen Fällen die Eltern. Selten sind es die Kinder selbst, die den Kauf tätigen. Die Sichtweise der Eltern war nicht Gegenstand der Befragung, aber die intuitive Bewertung der befragten Jugendlichen macht deutlich, dass diese das Gefühl haben, dass ihre Eltern ihnen mehr Freiheit gewähren wollen, als es zum Beispiel durch die Pandemie möglich ist. Hier wären weitere Forschungen notwendig, um herauszufinden inwiefern die Sichtweise der Eltern sich von der Sichtweise ihrer Kinder unterscheidet. Unterschiedliche Umfragen aus der Vergangenheit zeigten immer wieder, dass Kinder einen enormen Einfluss auf die Reiseentscheidung insgesamt nehmen.5 Dies dürfte auch auf die eigene Jugendreise zutreffen.
Durch die Pandemie sind vor allem Gruppenaktivitäten und menschliche Nähe eingeschränkt worden. Begegnungen im echten Leben mit Gleichaltrigen gab es zu großen Teilen nur im schulischen oder ggf. sportlichen Kontext. Andere Begegnungsorte waren während der Pandemie rar. So gab es wenige Situationen im Leben der Jugendlichen in denen Emotionen frei ausgelebt werden konnten. Dazu zählen Konfliktbewältigung innerhalb einer Gruppe, wie auch gemeinschaftliche Glückserlebnisse.
Um während der Reise tatsächlich mehr Nähe zu ermöglichen wäre ein innovativer Lösungsansatz für die Jugendreisebranche die Ausdifferenzierung von Jugendlichen in kleineren Gruppierungen. Diese könnten sich an Themen oder Interessen orientieren. Das Reisen in Kleingruppen kann zu einer Intensivierung der Gemeinschafts- und Reiseerfahrung führen und so die Persönlichkeitsentwicklung stärken. Dabei kommt es für kommerzielle Reiseanbieter insbesondere darauf an, wirtschaftlich tragfähige Modelle zu entwickeln, die die unterschiedlichen Gruppenbedürfnisse vereinen können. Kleingruppen könnten im Hinblick auf Epidemieprävention darüber hinaus resiliente Geschäftsmodelle ermöglichen, da nicht sofort ganze Ferienfreizeiten abgesagt werden müssen. Es stellt sich die Frage, wie man hier mögliche Preiserhöhungen rechtfertigen bzw. subventioniert umsetzen kann, ohne dabei die Mehrheit der Jugendlichen aus monetären Gründen auszuschließen.
Für Jugendreiseveranstalter und touristische Leistungsträger wie Mobilitätsdienstleister empfiehlt es sich kollaborative und anbieterübergreifende Lösungen und Angebote zu schaffen, um auf die vielfältigen Bedürfnisse und Ansprüche von Jugendlichen zu reagieren. Treibende Vorbilder für Innovationen und Erlebnisse können dabei aus Gaming, Social Media, Interrail und den Lieblingsbeschäftigungen von Jugendlichen kommen. So könnte eine spielerische Auseinandersetzung mit der Destination die Vorfreude steigern. Italiens offizielle Tourismusorganisation hat genau dies im letzten Jahr mit einem mobilen Spiel getan. Durch soziale Medien könnte die Planung unkomplizierter geschehen, da man mit den eigenen Freunden intuitiv über mögliche Reiseelemente kommunizieren kann. Anhand eines flexiblen und selbstbestimmten Reisens ähnlich bei Interrail könnten unterschiedliche Orte spontan miteinander verbunden werden. Diese Orte könnten ggf. auch in einer Region oder auf einem Gelände (Festival) liegen.
Es sollte gelingen, neben aller technischer Innovation, Resonanzräume für echte Begegnungen und Erfahrungen zu schaffen, um durch die Pandemie entstandene soziale und emotionale Defizite auszugleichen.
In den globalen Veränderungen am Reisemarkt steht zur Diskussion inwiefern sich auch der Jugendreisemarkt kurz- und mittelfristig wandelt und mit ihm womöglich das Geschäftsmodell von Jugendreiseveranstaltern. Historisch gesehen begannen einiger der heutigen Veranstalter vor Jahrzehnten als touristische Leistungsträger (z.B. Busunternehmen oder Ferienfreizeit). Heute findet man eher wenige touristische Anbieter von Einzelleistungen im Jugendreisebereich. Bahnreiseangebote speziell für Jugendliche sind am Markt wenig sichtbar mit Ausnahme von Bahncard und Interrail. Dies könnte sich ändern, wenn Jugendliche eine Reise mit immer relevanteren Informationen und digitalen Werkzeugen noch bequemer selbstständig planen und auch zum Teil schon ohne Begleitung sicher reisen können. Nach Einschätzung eines Teilnehmers auf der im Rahmen dieser Studie durchgeführten Zukunftswerkstatt sind Jugendliche „heute schon erfahrener, routinierter und vor allem quasi unendlich informiert“. Daher benötigen sie den Veranstalter nicht zwingend für die Bündelung von Reiseleistungen. Von älteren Jugendlichen wird die Jugendreise zudem nicht unbedingt angestrebt, da sie sich als junge Erwachsene betrachten. Die Grenzen verschwimmen also weiter, wenn es um touristische Leistungen geht, da sich Jugendliche auch mit globalen Buchungsplattformen beschäftigen. Intermediäre bzw. Reisemittler, speziell für Studenten, finden sich im Vergleich zu Jugendreisen wesentlich häufiger auf dem Markt. Diese konzentrieren sich meist auf Fernreisen und längere Reiserouten.
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Jugendliche davon ausgehen in Zukunft bewusster zu reisen. Jugendliche bewegt das Thema Klima und Umwelt beim Reisen wesentlich stärker als es noch 2014 in der Grundlagenstudie zu Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland3 festgestellt wurde.7 Vor allem im Vergleich zum eigenen Alltag wird Reisen insgesamt als klimaschädlich beurteilt. Klimaschädliches Verhalten wird insbesondere den früheren und aktuellen Reiseformen der eigenen Eltern zugesprochen.
Die befragten Jugendlichen selbst gehen davon aus in Zukunft als Erwachsene auf Reisen so gut wie keine klimaschädlichen Folgen in Kauf nehmen zu wollen.
Camping, Sportcamps und Naturreisen werden schon heute als nicht klimaschädlich bewertet. Da der Inlandstourismus während der Pandemie nachgefragt, gefördert und ausgebaut wurde, kann insbesondere auch in Deutschland durch weitergehende umweltverträgliche Reiseangebote das gesellschaftliche Bewusstsein für die Folgen, aber auch Chancen von Reisen gestärkt werden.
Als Konsequenz der durch die Pandemie aufgezeigten Schwächen im Bildungssystem könnten Reisen verstärkt als elementarer Bestandteil von Persönlichkeitsentwicklung begriffen werden. Jugendreisen können dabei selbstwirksame Erlebnisse mit dem Erwerb neuer Fähigkeiten und Ausbau vorhandener Kenntnisse verbinden. Als Vorbild könnten hier sogenannte Co-Workations3458 dienen, welche bei Jugendlichen aber statt Arbeit das Lernen in den Vordergrund stellen.
Es geht dabei darum, das Arbeiten bzw. Lernen an schönen Orten und in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung und den Erwerb neuer Fähigkeiten können hier neben Sprachreisen auch konkrete Lerncamps/reisen, auch in näherer Umgebung, gezielte Themen wie das Erlernen neuer Sportarten, Intensivierung der eigenen Lieblingsbeschäftigung, Kurse zur Medienkompetenz, Programmieren, Tierpflege, Politik, Naturkunde, Gaming, Achtsamkeit etc. mit anderen attraktiven Freizeitaktivitäten kombiniert werden. So können für Jugendliche mehr flexible Freiräume fürs Lernen entstehen, die anders funktionieren als Alltag oder Schule und gemeinschaftliche Erlebnisse schaffen.
Unter Berücksichtigung der lokalen Chancen ergeben sich hieraus vielfältige Umsetzungsformen – ein jugendgerechter CoWorkingSpace auf dem Dorf- oder Zeltplatz, ein gemeinschaftliches Tinyhouse auf der Ferienanlage, naturnahe Lernorte für Kurztrips vor den Toren der Stadt oder weitentfernte Workations für längere Zeit, die Lernen und Reisen verknüpfen.
So könnten auch Kollaborationen zu existierenden Mentoringnetzwerken56789, europaweit gefördert werden, um die Arbeitsmarktchancen von benachteiligten Jugendlichen zu stärken. Diese Mentoringprogramme könnten mit Reiseanbietern gemeinsam Themen anbieten und Jugendliche vielfältig und in anderen offenen Umgebungen fördern. Um jetzt erlebnisreiche und sichere Möglichkeits- und Lernräume zu gestalten haben hier Jugendreiseveranstalter, das was Jugendlichen in der Pandemie fehlte: Erfahrung.
Durch die Pandemie sind zwangsläufig neue Risiken entstanden. Die pandemiebedingten Einschränkungen haben für Jugendliche einen enormen Einfluss auf den Werteraum in Bezug auf Reisen. Der Kinder- und Jugendreisemarkt benötigt daher eine detaillierte Überprüfung und Anpassung. Anhand der Studienergebnisse werden schon jetzt Chancen deutlich, den pandemiebedingten Bedarf an die jeweiligen Angebote anzupassen, so dass aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen, wie u.a. Bildung und Chancengleichheit konstruktiv adressiert werden können.
Politik und Gesellschaft könnte akut mit konkreter Unterstützung auf die im Kulturraum sichtbaren Folgen der Pandemie reagieren und damit Jugendlichen einen vereinfachten Zugang zu für sie elementaren Lern- und Lebenserfahrungen geben, die einen entscheidenden Einfluss auf ihren weiteren Lebensweg haben werden. So scheint zum Beispiel die Zusammenführung von vorhandenen Mentorennetzwerken und Jugendreisen auf vielen Ebenen als erfolgsversprechend und wirkungsvoll.
„Jugendreisen für Alle“ wäre ein proaktiver Weg deutscher und europäischer Politik, z.B. mit Reisegutscheinen für alle Schulklassen. In Bezug auf die konkrete Gestaltung von Reisen wäre es zudem denkbar Reiseberater:innen oder Reisedesigner:innen zu zertifizieren, die gemeinsam mit Schüler:innen die Klassenreise anbieterneutral und klimaschonend planen und so gleichzeitig Lehrer:innen und Eltern Organisationsstress nehmen und Jugendkultur fördern
Eine sinnvolle Unterstützung wäre die Förderung von Begegnungsräumen in Form von naturnahen Lernorten, zertifizierten Jugendreisedestinationen, intermodalen Mobilitätsformen, dezentralen Ferienfreizeiten, bildungsorientierten Jugendfestivals, flexiblen Austauschprogrammen oder abwechslungsreichen Natur- und Sportcamps, die innerhalb geeigneter Rahmenbedingungen (Klimaschutz (ggf. Zertifizierung), Hygieneschutz (ggf. Gurgeltests)) gefördert werden. Diese könnten, ähnlich wie Exkursionen, Teil des Schulunterrichts werden und eine nachhaltige Investition in die Zukunft bedeuten.
In der Europapolitik wäre ein Interrailticket für alle Jugendlichen unter 20 Jahren ein starkes Zeichen. Darüber hinaus sollte das Reisen mit Nachtzügen gefördert werden.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die enormen Einflüsse der Pandemie auf Jugendreisen das Potential bieten dieses Marktsegment proaktiv in Richtung klimapositive Zukunft zu justieren. Dies bedeutet jedoch, dass ein gemeinsamer Handlungsrahmen geschaffen werden muss, der Reiseveranstalter und touristische Leistungsträger ebenso wie Eltern, Bildungseinrichtungen und Politik an den Konzeptionstisch der Jugendreise der Zukunft ruft.
Die Jugendlichen selbst sind dabei ebenso wie die Kreativwirtschaft ausschlaggebend für eine ko-kreative Neupositionierung.